Veröffentlicht am: 25. November 2021




LIANA ALEKSANYAN:
Frei auf der Bühne

Ein Interview von Gökçe Yeþilyurt mit der Opernsängerin Liana Aleksanyan

Liana, wenn du über dein Leben sprichst, über deine Karriere reflektierst, was geschieht in deinem Kopf, tauchen da bestimmte Bilder auf, Assoziationen? Fällt dir ein Kostüm, ein Stück, eine Erinnerung im Besonderen ein?

Es gibt unfassbar viele Momente, Bilder die mich durch meine Karriere begleiten. Aber zwei haben mich besonders geprägt. Das eine ist, als ich 2016 mit Madame Butterfly in Mailand auf der Scala stand. Ich erinnere mich, dass meine Hände angefangen habe so zu zittern, dass ich das Gefühl hatte meine Handbewegungen nicht machen zu können. Die Knie wurden so weich, dass das Betreten der Bühne mir unmöglich schien, wenn du aber dann doch auf der Bühne stehst, vergisst du alles, kein Zittern, keine Gedanken, nur noch die Rolle, die du spielst, und die Zuschauer.

Das zweite Erlebnis, was für mich unvergesslich ist, ist dass ich spontan für eine erkrankte Kollegin eingesprungen bin, um in La Traviata die Violetta Valery zu singen. Ich war gerade im Fitnessstudio in Braunschweig, als ich einen Anruf bekam und ich gefragt wurde, ob ich am selben Abend in Hamburg an der Staatsoper für eine Kollegin einspringen kann. Ich hatte gar keine Zeit zu überlegen und sagte, ja. Ich habe mich sofort auf den Weg nach Hamburg gemacht. Ich kam 40 Minuten vor der Aufführung an und hatte keine Gelegenheit mehr, mich mit dem Kollegen abzusprechen. Nichtsdestotrotz war das die beste Vorstellung meines Lebens. Ich war frei auf der Bühne und konnte singen und mich bewegen, wie ich wollte ohne jegliche Einschränkung. Es war meine eigene Interpretation der Violetta, das war ein einmaliges Erlebnis.



Väterliche Wünsche und eigener Lebensweg

Dein Plan war ja nicht von Anfang an, eine Opernsängerin zu werden; der Wunsch deines Vaters war, dass du eine Pianistin wirst. Kannst du uns den Weg von der Idee Pianistin zu werden bis zu der gefeierten Sopranistin erzählen?

Ja,er wollte, dass einer seiner Töchter entweder Ärztin oder Pianistin wird. Das war sein Traum. Aber keine von beiden ist es geworden. Meine Schwester Anna ist Betriebswirtschafterin und ich bin Opernsängerin geworden.

Aber Du hast dich ja nicht sofort für die Oper entschieden, du hast zuerst Jazz gesungen, richtig?

Ja, da muss ich etwas ausholen. Meine erste Erinnerung, da muss ich so zwei gewesen sein, das erzählen meine Eltern, war, dass ich die berühmte russische Mezzosopranistin Elena Obraztsova im Fernsehen gehört habe und angefangen habe mit ihr zu singen. Ich habe dann später Klavier studiert und konnte mein Leben als professionelle Pianistin bestreiten, aber irgendwann habe ich gedacht, dass es nicht meine Leidenschaft ist, so war ich auf der Suche. Ich wollte verschiedene Rollen spielen, aber mir war nicht klar, dass es die Oper sein würde. Obwohl unsere Eltern uns schon als Kinder immer zu klassischen Konzerten oder zu Opernvorstellungen mitgenommen haben, habe ich nichts gefühlt. Erst so mit vierzehn, fünfzehn, wenn ich Jazz gesungen habe, habe ich eine gewisse Grenze meiner Stimme gespürt. Ich habe gedacht, da stimmt was nicht. Du weißt nicht, was du mit deiner Stimme machst, und vielleicht machst du sie kaputt, habe ich gedacht. Ich habe meinen Vater gebeten, für mich einen Pädagogen zu finden, und wir sind zu einem Professor in einer Musikhochschule gegangen. Er hat sich meine Stimme angehört und gesagt: «sehr schöne Stimme aber wir müssen viel Arbeiten und sie wird Opern singen».



...mir wurde zum ersten Mal klar, dass die menschliche Stimme auch ein wahnsinniges Instrument ist...

Und ich sagte: ich und Oper niemals! Der Professor hat mich dann überzeugt, zuerst zu kommen und zu trainieren und erst danach mich zu entscheiden. So habe ich angefangen bei ihm Gesangsunterricht zu nehmen. Er hatte auch andere Studenten, die nach und vor mir gesungen haben und mir wurde zum ersten Mal klar, dass die menschliche Stimme auch ein wahnsinniges Instrument ist. Das war der Wendepunkt in meinem Leben. Ich dachte, entweder bleibst du bei der klassischen Musik und machst das richtig gut oder aber du singst Jazz und Pop mittelmäßig. Und so fing der lange Weg durch viel Arbeit, Tränen, Depressionen, Stress und Selbstzweifel an und irgendwann hat die Stimme angefangen Vibration zu bekommen. Danach gab es Wettbewerbe an denen ich teilgenommen habe. Mal habe ich gewonnen, mal war ich Finalistin.

Kannst du dich an deinen ersten Vertrag erinnern?

Meinen ersten Vertrag habe ich mit 24 Jahren in Norwegen bekommen. Eigentlich ein kleines Baby für eine Rolle wie Manon Lescaut. Danach folgten Auftritte in Armenien, Österreich und Frankreich. Dann habe ich für eine Rolle in Deutschland vorgesungen und bekam dann einen Vertrag für das Stadttheater Braunschweig.

Wie war das für dich so, als junge Frau, aus der wohl gehüteten Familie und dem überschaubaren Jerewan in die weite Welt zu ziehen?

Jerewan ist eine sehr schöne Stadt und hat auch ein europäisches Flair, leider weiß man viel zu wenig über Armenien. Mein erster Auslandsaufenthalt, nach Einbruch der Sowjetunion, war 2004, in Wien als ich vorgesungen habe. Wenn man als die erste europäische Stadt Wien sieht, wird man nicht mehr von den anderen Städten überrascht. Wien ist für mich die schönste Stadt, ich liebe Wien. Ich habe in regelmäßigen Abständen auch in Wien gelebt. Was ich aber durch meine Auslandsaufenthalte gelernt habe, ist, dass die Menschen überall gleich sind und ich in meinem Leben wunderbaren Menschen aus unterschiedlichen Ländern und Kulturen begegnet bin. Genau dafür bin ich sehr dankbar. Trotz der schwierigen Tage, Situationen und Momente, die ich auch hatte, habe ich bis jetzt ein schönes Leben gehabt.



...ein unbeschreibliches und unvergleichbares Gefühl...

Momentan befindest du dich ja in deiner Heimatstadt in Jerewan. Wie stark beeinflusst die jetzige Situation mit Covid 19 dein Leben? Zumal du ja seit der Saison 2019/20 fest im Ensemble an der Deutschen Oper am Rhein singst. Wie sieht aktuell ein "normaler" Tag im Leben einer Opernsängerin aus?

Was mir zur Zeit gut tut, ist, dass ich mir vor einiger Zeit, Gott sei dank, eine Cappuccinomaschine gekauft habe, (lacht herzhaft). Ich mache mir eine Tasse Cappuccino, sitze auf dem Balkon, genieße die Ruhe und schaue auf den Berg Ararat.

Es ist wirklich sehr schön zu beobachten, wie der Tag anbricht.

Meine Rettung ist auch mein Klavier hier in Jerewan. Ich singe und übe viel am Klavier. Die Spielzeit 2020 ist momentan geschlossen und wir wissen nicht wie es weiter geht, obwohl wir hoffen, dass wir ab September wieder auf der Bühne stehen.





Wenn die Kultur stirbt, stirbt alles, und wofür lebt man dann?

Mir fehlt die Bühne, dort zu stehen, alle Scheinwerfer sind auf dich gerichtet und du singst mit einem Orchester und einem Dirigenten. Das ist ein unbeschreibliches und unvergleichliches Gefühl. Ich habe hier in Armenien ein Konzert ohne Zuschauer gegeben, das ist ein Konzert ohne Leben. Momentan höre ich immer wieder, dass Kunst nicht die erste Priorität hat, aber ohne Kunst stirbt alles, ohne Kunst kann man nicht leben. Wenn die Kultur stirbt, stirbt alles, und wofür lebt man dann?

Das Leben ist ein Zusammenspiel von vielen Faktoren und Kunst und Kultur spielen da eine sehr große Rolle.

Du hast schon die unterschiedlichsten Inszenierungen mitgemacht - klassische und experimentelle. In welcher Art Inszenierung kannst du dich besser ausleben?

Ich habe keine Vorlieben, weder das eine noch das andere. Ich habe ein Problem, wenn Menschen keine Ahnung haben, von dem, was sie machen wollen, oder wenn z.B. der Regisseur möchte, dass es nach seiner Vorstellung gespielt wird, ohne es zu erklären, finde ich es schwierig. Ich liebe Regisseure, die die Geschichte erzählen, das ist für mich wichtig. Der Komponist hat sich schon was dabei gedacht, als er das Stück komponierte.

Du hast auf den schönsten Bühnen der Welt gesungen, in Mailand an der Scala, in Buenos Aires, Seul, Oslo, Berlin und vielen Bühnen in Deutschland. Welche Bühne liebst Du am meisten?

Für mich ist die Deutsche Oper am Rhein, das Schönste. Da fühle ich mich zu Hause. Von Kostümbildnerin bis zu den Technikern. Vom Dirigenten bis zu Kollegen.

Was ist die größte Herausforderung, wenn du eine neue Rolle einstudierst?

Es ist sicherlich die Sprache. Vieles übersetze ich ins Armenische, denn das ist mir ganz wichtig, ich muss mich in die Rolle mit dem Herzen hineinfühlen. Ich studiere zunächst die gesamte Partitur und denke darüber nach, wie ich die Rolle präsentieren kann. Ich bemühe mich, viel zu lesen, zu beobachten und mich gedanklich mit der Rolle auseinanderzusetzen. Aus diesem Grunde übe ich immer zu Hause vor dem Spiegel.




Armenian National Philharmonic Orchestra 9.06.2019

...wir werden nicht nur vom Publikum und von Musikkritikern kritisiert...

In den letzten Jahren hatte ich das Vergnügen, dich in sehr unterschiedlichen Inszenierungen vom selben Stück zu hören. Wie gehst du mit der Situation um, wo du mit der Inszenierung nicht ganz zufrieden bist? Konzentrierst du dich eher auf deinen Gesang und blendest du den Rest aus?

Ich versuche in solchen Situationen sehr diplomatisch zu sein und versuche meinen Weg zu finden, und ich versuche auch einen Teil von mir beizutragen und in den meisten Fällen, lassen sich die Regisseure darauf ein, denn auch sie wollen, dass eine Inszenierung erfolgreich wird. Sie können uns nicht ignorieren. Letztendlich nach der Premiere geht der Regisseur weg und wir bleiben mit bis zu 14 weiteren Vorstellungen zurück, und wir müssen an das, was wir auf der Bühne machen, glauben und davon überzeugt sein. Die Stimme und die Bewegung, das alles muss in einem Klang bleiben, damit die Zuschauer die Emotionen spüren. Die Entstehung eines Stückes ist unfassbar wichtig, denn wenn die Chemie innerhalb des Ensembles stimmt, fühlt sich das schön an.

Bis jetzt hatte ich zum Glück noch kein Problem. Ich habe das gemacht, was sie wollten und auch daran geglaubt, wieso ich das mache, denn es ist wichtig, dass man daran glaubt, um überzeugt zu spielen. Es ist dem Publikum vielleicht nicht bewusst, aber wir werden nicht nur vom Publikum und von Musikkritikern kritisiert, sondern auch von unseren Kollegen, die mit uns singen und uns zuhören, vom Chor, vom Orchester, vom Dirigenten, von den Assistenten der Dirigenten, vom Regisseur, von den Assistenten des Regisseurs, von unseren Kollegen, die die Arbeit hinter der Bühne leisten. Da muss man schon von dem was man macht, überzeugt sein um stark zu sein.



...Cio-Cio San und Violetta sind natürlich Traumrollen für alle lyrischen Soprane...

Wenn ich an Liana Aleksanyan denke, dann denke ich unausweichlich an Madame Butterfly. Die Rolle der Cio-Cio-San. ist dir ans Leib gewachsen, wie siehst du das? Wie ist deine Beziehung zu Cio-Cio-San?

Es ist die zweit häufig gesungene Rolle von mir. Ich habe in 14 Produktionen mitgesungen, und ich glaube, es werden noch weitere dazukommen. Ich liebe diese Rolle, obwohl viele Menschen mich davor gewarnt haben, es zu singen, denn es mache die Stimme kaputt. Die Stimme habe ich Gott sei dank nicht kaputt gemacht. Wichtig ist, dass ich die Rolle wie eine fünfzehn Jährige singe. In einigen Passagen muss ich natürlich das Leid und den Schmerz einer Mutter überzeugend rüberbringen und da wird die Stimme natürlich beansprucht. Man muss einerseits über das riesige Orchester kommen, andererseits die Jugendlichkeit der Person mit viel Zartheit und Leichtigkeit in der Stimme transportieren. Das ist die Kunst. Aber Cio Cio San gehört irgendwie zu meinem Leben.

Cio-Cio San und Violetta sind natürlich Traumrollen für alle lyrischen Soprane. Man muss während aller Akte auf der Bühne präsent sein und die Stimme voll einsetzen. Das heißt, dass eine perfekte Technik und viel Bühnenerfahrung erforderlich sind.



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...Ich habe immer Frauen gespielt, die am Ende gestorben sind...

Nicht nur Cio-Cio- San sondern auch Mimi und Violetta Valéry, sind ja nicht nur sehr sehr tragische Frauenfiguren, die du sehr überzeugend darstellst, sondern auch Traumrollen für alle lyrischen Soprane. Diese tragischen Frauenfiguren, haben eins gemein, es sind gleichzeitig sehr starke Frauen, die schwere innere Konflikte erdulden.

Ich habe immer Frauen gespielt, die am Ende gestorben sind (lacht), Zerlina, die am Ende von ihrem Mann getötet wird. Luisa Miller von Schiller, Verdis Figuren und jetzt sollte ich endlich Lady Macbeth spielen aber dazu kam es wegen Corona nicht. Ich hoffe, dass wir das in der kommenden Spielsaison in Düsseldorf spielen können.

Du hast ja gerade erwähnt, dass du diese Frauenfiguren spielst, die am Ende sterben, liegen dir diese Frauen oder warum ist das so?

Ich selbst habe es nicht herausfinden können, aber vielleicht sehen die Dirigenten oder Operndirektoren mich gerne sterben. Ich glaube, ein Grund dafür könnte sein, dass ich viel Verdi und Puccini gesungen habe und da sind immer diese Frauen, die wegen der Liebe so leiden und weinen oder an Krankheiten wie der Tuberkulose sterben. Und zum Schluss, wenn ich da so tot liege, gibt es viel Applaus.

Jetzt noch mal zurück zu Cio Cio San. Sie erlebt eine unschuldige Liebe, verliebt sich in den amerikanischen Marineleutnant und ist im Grunde allein. Sie erlebt ja auch einen Konflikt zwischen dem Erhalt ihrer Tradition und Identität und heiratet zugleich gegen den Willen ihrer Familie einen Amerikaner. Wie wichtig ist für dich Identität und Tradition?

Ich möchte zuerst bei dem Begriff "Tradition" bleiben und klarstellen, dass Tradition oft gleich mit Konservatismus gestellt wird. Tradition muss aber nicht zwangsweise konservativ sein. Das wird oft als Synonym verwendet. Ich finde, wenn man seine eigene Wurzeln kennt, ist es einfacher sich auf neue Kulturen einzulassen und im Leben standhaft zu sein.

Die Fehlerquote minimiert sich im Leben, wenn man seine eigene Identität kennt und weiß, wer man ist. Man ist unglücklich und unzufrieden, wenn die Wurzeln fehlen.

Ich habe viele Menschen kennengelernt, die in einem fortgeschrittenen Alter sind und sich selber nicht kennen. Es ist schade.

Gibt es noch Rollen, von denen du träumst?

Ich habe sehr oft Manon Lescaut von Puccini gesungen, aber ich würde mir wünschen, Manon von Massenet, zu singen. Sie habe ich noch nicht gesungen und es würde mich sehr reizen sie zu spielen. Ich würde gerne Francis Poulenc oder Wagner singen zum Beispiel in Lohengrin, Elsa vom Braband. Warum nicht ; Ansonsten hatte ich das Glück wunderbare Rollen zu singen, mit großartigen Dirigenten. Ich bin ganz zufrieden mit dem, was ich bis jetzt singen durfte und singen werde. Es sind um die dreißig Opernstücke, die ich gesungen habe, das ist schon eine Menge. Ich liebe das was ich mache und es bereitet mir Freunde und wenn ich mit meinem Gesang auch Freude machen kann, dann bin ich sehr glücklich.

Wann werden wir dich voraussichtlich wieder in Deutschland hören können, gibt es schon einen Plan, wie die Arbeit in naher Zukunft sein wird?

Ich hoffe, dass wir so bald wie Möglich wieder auf der Bühne stehen können. Für den 16. und 19.Februar 2022 ist ein Gastauftritt in Hamburg geplant. Ansonsten bin ich, sobald wir dürfen, in Düsseldorf zu hören.

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